Das gesamtwerk

Die Boulevard-Presse war entsetzt. ZERBOMBT, Kanes Debüt 1995, sei ein„Disgusting feast of filfth“, ein „ekelhaftes Gelage des Schmutzes“. Trotz der schonungslos unverhüllten Darstellung physischer und psychischer Brutalität und Grausamkeit mit einer gleichzeitigen Tendenz zu gewaltsamer Bühnensprache bei klar erkennbarem Formwillen unterscheidet sich das mit Vor- und Nachwort nur knapp 250-seitige Gesamtwerk Sarah Kanes aber nicht zuletzt aufgrund seiner dramatischen und literarischen Breite und Tiefe von einer oberflächlichen Lust an der Provokation.

 

Was gibt uns eine Autorin, von der die Frankfurter Rundschau 1999 schrieb, ihr „schmerzender Lebensfunke“ werde das Theater „noch lange in sein eigentümliches Licht tauchen“ im Jahre 2021? Wie muss eine theatrale Handgranate im Jahre 2021 aussehen, um als solche angenommen zu werden? Warum hat sich die freie Szene, als deren Ikone die Autorin immer noch hell strahlt, noch nie an eine Werkschau getraut? Und warum machen wir das jetzt?

 

20 Jahre nach Sarah Kanes Tod werden Autorinnen im sogenannten Mainstream immer noch sehr viel anders rezipiert als Autoren. Autorinnen sind nicht genialisch, sie sind hysterisch und psychotisch. Die stets auf auch ihren eigenen gesellschaftlichen Avantgardismus bzw. die Zurschaustellung desselben bedachte Kunst ist da keine Ausnahme. Autorinnen im Spielplan? Ja, wenn es sich nicht vermeiden lässt. Aber bitte nur Frauenthemen. Regisseurinnen am Staatstheater? Frank Castorf hat selten erlebt, "dass eine Frau besser inszeniert als ein Mann".

Im Falle Kane scheint es zudem verführerisch nahezuliegen, sie auf ihr exzessives Schaffen in kurzer Zeit, ihre Depressionen und ihren Suizid zu reduzieren bzw. ihre Rezeption stets und ausschließlich daran anzuknüpfen und davon abzuleiten. Dahinter tritt das geschriebene Wort in den Hintergrund. Das Werk als solches ist aber an sich schon so gewaltig, so vielschichtig, so herausfordernd, da benötigt es keine zusätzliche human interest Psychologisierung. Die „IN HER FACE ODER DIE AUTORIN IST TOT“ ist dann auch der entsprechende und folgerichtige doppeldeutige Titel des begleitenden Diskursstückes.

 

Als Koproduktion und Kooperation mit u.a. MÄDCHENTHEATER, KORTMANN&KONSORTEN, PAN PRODUCTIONS, AKGÜN/SCHASSNER/ZEHAF, MAREIKE BUCHMANN / FIEL IMPUKS werden an den Landungsbrücken Frankfurt 6 Stücke zur Premiere gebracht und bleiben als Werkschau, als Reihe im regulären Spielplan und werden im Februar 2022 als Kernstück des Festivals aufgeführt.